Hintergrund / Ein Traum

(Mira Alfassa, Gründerin von Auroville, 1965)

Irgendwo auf der Erde sollte es einen Ort geben, den keine Nation als ihr alleiniges Eigentum beanspruchen kann. Einen Ort, in dem alle Menschen mit gutem Willen und aufrichtigem Streben frei als Weltbürger leben können und nur einer einzigen Autorität gehorchen: der höchsten Wahrheit. Ein Ort des Friedens, der Eintracht und der Harmonie, an dem jegliche kämpferischen Instinkte im Menschen ausschließlich dazu benutzt werden, die Ursachen seines Leidens und Elends zu bezwingen, seine Schwäche und Ignoranz zu überwinden und über seine Begrenzungen und Unfähigkeiten triumphierend hinauszuwachsen. Ein Ort, an dem die Bedürfnisse des Geistes und die Pflege des Fortschritts Vorrang haben vor der bloßen Befriedigung von Wünschen und Leidenschaften, vor der ausschließlichen Suche nach Vergnügungen und materiellen Annehmlichkeiten.

An diesem Ort könnten sich Kinder in umfassender Weise entfalten und aufwachsen, ohne den Kontakt mit ihrer Seele zu verlieren. Erziehung wäre nicht dazu da, Prüfungen zu bestehen, Zeugnisse zu bekommen und Posten zu bekleiden, vielmehr würde sie vorhandene Fähigkeiten fördern und neue hervorlocken. An diesem Ort würden Titel und Rang ersetzt durch Gelegenheiten zum Dienen und Organisieren.

Den Bedürfnissen des Körpers würde für alle und jeden in gleichem Maße Rechnung getragen. In der allgemeinen Organisation würde sich intellektuelle, moralische und spirituelle Überlegenheit nicht durch die Maximierung von Vergnügungen und Macht im Leben ausdrücken, sondern durch einen Zuwachs von Pflichten und Verantwortlichkeiten.

Künstlerische Schönheit in jeder Form, ob Malerei, Bildhauerei, Musik oder Literatur, würde allen gleichermaßen zugänglich sein. Gelegenheiten, die Freuden zu erfahren, die die Kunst mit sich bringt, könnten einzig und allein durch die Fähigkeiten des Einzelnen Beschränkung erfahren, nicht jedoch durch seine soziale oder materielle Position. Denn an diesem Ort wäre Geld nicht länger der höchste Herrscher. Individuelles Verdienst würde größere Gewichtung haben als der Wert, der sich auf materiellen Reichtum und soziale Position gründet.

Arbeit wäre nicht länger ein Mittel, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Sie wäre ein Mittel, durch das sich jeder ausdrückt und seine Kapazitäten und Fähigkeiten entwickelt, während er zugleich dem Wohl der ganzen Gruppe dient, die ihrerseits für seinen Lebensunterhalt und seinen Arbeitsbereich aufkommt.

Kurz gesagt, es wäre der Ort, an dem Beziehungen zwischen den Menschen, die normalerweise fast ausschließlich auf Wettbewerb und Kampf gegründet sind, abgelöst würden durch Beziehungen des Nacheiferns, etwas immer besser zu machen ... Es wären Beziehungen der Zusammenarbeit und der Brüderlichkeit.

Hintergrund / Auroville

Im Jahr 1968 gegründet, gilt die internationale Stadt Auroville in Südindien heute als eines der größten Bewusstseinsprojekte unserer Zeit.

Der „Traum“, der französischen Gründerin Mira Alfassa, genannt „Die Mutter“, bildet das spirituelle Fundament. Richtungweisend ist der Integrale Yoga des Philosophen Sri Aurobindos. Sein Yoga will ein neues Bewusstsein aufbauen, das materielle und spirituelle Realitäten miteinander verbindet. Yoga in Auroville ist nicht auf bestimmte Übungen beschränkt, sondern beruht auf der inneren Haltung.

Unterstützt wird das internationale Stadtexperiment von der UNESCO und erhält Spenden und Zuwendungen unter anderem von der EU, nationalen und internationalen Stiftungen, indischen, deutschen, französischen und anderen Ministerien, von staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen und Privatpersonen in aller Welt.

Die Aurovillianer leben weit verstreut auf über 100 Landparzellen, die die Auroville-Stiftung nach und nach erworben hat. Im Herzen der Stadt erhebt sich ein großer, kugelförmiger Bau, das Matrimandir, welches der Stille und Meditation dient. Die Stadt ist in vier Zonen eingeteilt, die vom Matrimandir wie Spiralarme einer Galaxie ausgehen und jeweils einen wichtigen Aspekt des Ortes betonen: die Wohnzone, die kulturelle und die Gewerbezone und die internationale Zone. Parkanlagen und grüne Korridore durchziehen diese Zonen und um die Stadt herum gibt es einen Grüngürtel mit Wald, Farmen und freier Natur. Über drei Millionen Bäume wurden gepflanzt und viele hundert Kilometer Wasserrückhaltedämme errichtet, wodurch Regenwasser zurückgehalten und gesammelt werden konnte, das zuvor nutzlos ins Meer abgeflossen war. So konnte aus der einstiegen Wüste wieder ein grünes Biotop werden.

Heute ist Auroville eine langsam, aber stetig wachsende Gemeinschaft mit über 2.200 Bewohnern. Sie stammen aus den verschiedensten Erdteilen, Kulturen und Religionsgemeinschaften und bringen ihre ganz persönlichen Wünsche und Ziele für das Leben in Auroville mit. Was ihnen gemein ist, sind ein starker Wille, großer Enthusiasmus, eine hohe Selbstkritikfähigkeit und ein freiheitsliebender Charakter. Ein wirkliches Kollektiv bilden die Wahl-Aurovillianer aber noch nicht, eher ein Gemeinwesen aus Gruppen und Individuen, aus Projekten und Betrieben und eine Ansammlung höchst unterschiedlicher Lebensstile.

Aufgrund der hochgesteckten Ziele und der vielen Autodidakten, die sich in verschiedenen nicht erlernten Bereichen ausprobieren, scheitern oftmals Vorhaben. Doch die auf einen knappen Nenner gebrachte Logik dieses Ortes lautet: Versuch. Irrtum. Neuer Versuch.

Hintergrund / Motivation

Mit Mira Alfassas „Traum" kam ich zum ersten Mal durch einen Artikel in einem Reise-Magazin in Berührung. Dort las ich von der „Zukunftsstadt“ Auroville, in der durch das gleichberechtigte Zusammenleben von Menschen aller Nationen jenseits aller Glaubensbekenntnisse und aller Politik ein urbanes Modell menschlicher Einheit und gelebter Völkerverständigung geschaffen werden soll.

Fasziniert von solch einer idealistischen Vorstellung, stürzte ich mich in die Recherche und fand heraus, dass es sich bei Auroville zwar um das einzige Projekt dieser Größe handelt, aber es dennoch kein Einzelphänomen ist.

Ganz im Gegenteil, in anderen Erdteilen befinden sich unzählige weitere Gemeinschaften, die sich Themen in der Ökologie, Ökonomie, Politik und Religion zukunftsorientiert widmen. Tatsache ist, dass viele Menschen aus diesen Wahlgemeinschaften wieder aussteigen und Gemeinschaftsinitiativen wieder scheitern. Dennoch machte ich auf meinen diversen Recherche-Reisen die Erfahrung, dass sie Möglichkeiten für den notwendigen Wandel bieten, dass sie Keimzellen eines neuen Bewusstseins sein können und Experimentierräume für zukunftsfähige Lebensformen. Auroville beeindruckte mich am Nachhaltigsten...

Dieser Ort ist kein Paradies. Er ist vielmehr eine Herausforderung für jeden Einzelnen, ein täglicher Kampf mit Idealen und Banalem, ein Brennglas, das seinen Fokus auf die drängendsten Fragen einer zukünftigen Gesellschaft richtet. Indien bietet diesem Utopia-Projekt einen idealen Rahmen. Die Heimat der ungezählten Götter, der Widersprüche und Wunder, zieht von jeher jene an, die der Seele folgen; Träumer, Pilger, Denker, Vagabunden und Künstler. Menschen, die dann in Auroville zu Praktikern werden mussten.

In PIONEERS OF DAWN steht der „Gedanke Auroville“ als Synonym für die Auseinandersetzung mit eigenen Idealen. Und Ideale sind von grosser Bedeutung. Seit Menschheitsbeginn weisen sie uns den Weg. Sie spiegeln unser erhabenstes Bild der eigenen und der Möglichkeiten der Welt wider. Ich hoffe die Menschen ermutigen zu können, ihr persönliches Auroville zu finden. Zudem möchte ich die Kraft einer Utopie spürbar machen. Utopien fordern Veränderung und sind immer als kritischer Gegenentwurf zur bestehenden Welt zu verstehen. Sie fordern Engagement heraus: Sei es um das Schlimmste zu verhindern, oder um der idealen Welt ein Stück näher zu kommen.

Ist es nicht an der Zeit, Pionier eines neuen Bewusstseins zu werden?